
Etwas schleppend kommt Andrea Gatopoulos‘ Dokumentarfilm in die Gänge, und lange verstehe ich nicht so recht, wo’s hingeht, aber dann packt er mich dabei, dass ich mit dem Protagonisten David Rumsey ein tiefes Interesse für Karten habe. Landkarten, Stadtpläne, historische, zeitgenössische, von Hand gemalte, von Computern entworfene, von mir bekannten Gegenden, von fremden Ländern. Nicht dass ich Vorträge halten könnte über Karten, wie David Rumsey das macht. Nicht dass ich wirklich welche sammeln würde. Obwohl, eigentlich würde ich das sehr, sehr gerne tun. Ich bin auch ein paar Jahre jünger als David und meine Interesse geht fast noch mehr ins Digitale: Auf Google World rumreisen, bei Rätselspielen mitmachen, wo man finden muss, wo auf der Erde wohl ein winziger Satellitenfotoausschnitt wiederzufinden ist. Es gibt eine Internetseite, die über einen aktuellen Plan von Berlin zwei drei Dutzend alte Pläne passgenau übereinanderlegt. Man kann dann etwa einen Stadtplan von 1664 anklicken und mit einem Schiebeschalter den aktuellen Stadtplan ein- und ausblenden. Ich könnte mich stundenlang damit beschäftigen. Schauen, was sich verändert hat. Entdecken, wie die heutigen Straßenzüge entstanden sind. Wie die Orte früher hießen. Wie Berlin irgendwann angefangen hat wuchernd größer zu werden und Dörfer „aufzufressen“.
David Rumsey aber hat in seinen letzten 30 Lebensjahren eine der größten Kartensammlungen der Welt zusammengetragen. Es ist diese so einmalige Verknüpfung von Kunst und Wissenschaften, die ihn daran fasziniert. Ich hätte mich da ja eher spezialisiert, was weiß ich, auf Berliner Stadtpläne in den 1920ern oder so. Oder auf Atlanten. Oder Globen. Freunde haben uns zur Hochzeit einen Gutschein für manufactum geschenkt. Ich habe mich durchgesetzt, einen großen Globus zu kaufen. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich ihn nicht nutze. Und ich zeige meinem Sohn die Welt damit. Jetzt wo ich darüber nachdenke… Aber begleiten wir David Rumsey wieder. Er erzählt von alten Karten und Atlanten, treibt sich in Bibliotheken rum und man wird so sehr von seiner Kartenbegeisterung angesteckt. Aber auch er ist im Internet unterwegs und hat sich sein digitales „map poem“ gebaut, in Second Life. Wir begleiten ihn auf einem Roadtrip, auf den Spuren seiner eigenen Vergangenheit. Und man kann ihm nicht aufhören, zuzuhören, wenn er über dieses und jenes Detail irgendeiner alten Karte redet. Es ist so wunderbar, ihn sprechen zu hören. Das ist die Stärke dieses wunderbaren, kleinen special interest-Dokumentarfilms, auf den sich aber jeder einlassen sollte.
Regisseur: Andrea Gatopoulos
Mit David Rumsey, Michael Moore, Abby Rumsey, Salim G. Mohammed, Nathan Tia, Kristina Larsen
2023
Länge 90 Minuten
Dokumentarfilm
Produktion: Andrea Gatopoulos, Marco Crispano, Marco Caberlotto, Lucio Scarpa
Gemeinsam mit dem Kurzfilm
DIE LETZTE WETTE
Spielfilm, 14 Minuten
Meike Wüstenberg
Weitere Vorführungen bei den Internationalen Hofer Filmtagen:
Mittwoch 18:00 Central 5
Donnerstag 12:30 Scala 3
Tickets gibt es hier: https://www.hofer-filmtage.com/de/2024#tickets