
Mit der Faust in die Welt schlagen | Punching the World von Constanze Klaue
DEU 2025, Perspectives
© Flare Film / Chromosom Film
Debütfilme genießen Welpenschutz. Da treten Regisseur*innen bisweilen noch in die Klischeefalle, die eigene Filmsprache muss erst ausgearbeitet werden, Fehler, aus denen man lernt, müssen gemacht werden. Doch genau diesen Welpenschutz hat „Mit der Faust in die Welt schlagen “ von Constanze Klaue. Stilsicher erzählt sie ein Drama in ostdeutscher Provinz.
„Was schwimmt auf der Neiße? – Scheiße!“ schreien die Jungs auf den See hinaus. Philipp und Tobias Zschornack sind Brüder, 12 und 9. Sie wachsen in der sächsischen Provinz, Bleschwitz, auf, gut fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall, Anfang der 2000er Jahre, 2006 wird eingeblendet. Die Gegend ist eigentlich abgehängt, die Industrie, in der der Opa noch arbeitete, ist längst stillgelegt. Der öffentliche Nahverkehr lässt zu wünschen übrig. Und dann sind auch noch die Handwerker aus dem nahegelegenen Polen billiger. Die Zschornacks bauen ein Haus, alles scheint gut zu laufen, außer der Elektrik, für die der Vater selber sorgt, schließlich macht er gerade eine Umschulung zum Elektriker. Dennoch ziehen sie schon einmal in das noch nicht fertige Haus ein. Damit beginnt das Glück der Zschornacks Risse zu bekommen. Der hagere Uwe, ein ehemaliger Arbeitskollege des Vaters, der aber wegen Alk entlassen wurde, hilft auf der Baustelle aus, den Kindern ist er nicht geheuer – und dann ist er plötzlich tot. Sein Schicksal ist nicht selten: Stasi-Vergangenheit, Arbeitslosigkeit, Alkohol. Doch der Weg der Familie führt weiter bergab: Der Vater verliert seine Arbeit, intetessiert sich für die Nachbarin, die Mutter hält die Familie über Wasser. Die Oma passt manchmal auf die Kinder auf, aber sie ist auch kein pädagogisches Vorbild. Für die Jungs gibt es neben der Enge ihres Zuhauses aber auch die Freiheit in der sächsischen Landschaft, Wälder, Felder, Seen. Die Schule läuft nur so mit, die Lehrerin lässt zu wünschen übrig. Ihren Nebenjob, Zeitungen austragen erfüllen sie naja, mangelhaft. Man ahnt: Ihnen wird bald die Perspektive fehlen, ein Plan für die Zukunft, positive Einflüsse. Weitgehend sind sie auf sich allein gestellt und so schreitet auch keiner ein, als Philipp auf die älteren Jungs trifft und bei ihnen Anerkennung und Zugehörigkeit findet. Scheinbar die einzige Möglichkeit, etwas fürs Selbstbewusstsein zu tun. Der Einfluss der Jungs ist kein Guter: Zunächst rechtsextreme Schmierereien, Zerstörungswut, dann Fremdenhass und schließlich Gewalt. Als in der Nähe ein Flüchtlingsheim geplant wird, eskaliert die Situation. „Und du, willste auch mal mitkommen?“ fragt einer der Großen auch den Kleinen, Tobias.
Constanze Klaue ist im Osten Berlins geboren – und sie ist auf interessanten Umwegen zum Film geraten. Sie studierte in einer komplett anderen Welt, nämlich Osnabrück, Germanistik und Jazz. Sie arbeitete als Autorin, als Jazzsängerin und schließlich als Regisseurin für eine Kölner Werbefilmproduktion. 2014 ging sie an die Kunsthochschule für Medien, 2017/18 war sie Stipendiatin der Akademie für Kindermedien und erhielt den Boje-Baumhaus-Medienpreis für ihr Romanprojekt „Ausgerechnet Mops“. Ihr 30-minütiger Abschlussfilm Lychen 92 erhielt im Jahr 2020 den Max Ophüls Preis und den First Steps Award für den besten mittellangen Film. Mit der Faust in die Welt schlagen ist ihr Kinodebüt, nach dem gleichnamigen Roman, dem Debütroman von Lukas Rietzschel, erschienen im Ullstein Verlag. MDR Kultur meinte zum Roman: „Ich glaube, es ist der Roman über den Osten der 2000er-Jahre schlechthin.“
In einem Podcast des MDR erzählt Constanze Klaue, wie sie auf den Roman von Lukas Rietzschel stieß und Elemente der Geschichte in sich selbst wieder entdecken konnte, Arbeitslosigkeit, Trinkerkarrieren im Umfeld etc. Als sie ihn dann in Görlitz traf, verstanden sie sich gut und sie beschloss, die Romanverfilmung zu ihrem Debütfilm zu machen – und dass sie damit auch frei umgehen wird und sogar eigene Teile ihrer Biografie oder etwa tragikomische Szenen mit einfließen lässt. Auch die konkreten Geschichtsbezüge zum Anfang der Nullerjahre vermeidet sie. Auf die Frage, wie sie der Rechtsextremenklischeefalle entgehen konnte, sagte sie: „Es ist eine Familiengeschichte. Ein Fokus im Film ist die Familie. Und die Brüder sind innerhalb dieser Familie. (…) Mein Fokus ist eben nicht die Clique, die Rechtsradikalen, die durch die Straße ziehen, natürlich wird das alles drin vorkommen, aber mein großer Fokus ist die Familie und was passiert, wenn eine Familie zerbricht. Ich wollte eine Orientierungslosigkeit erzählen, die alle betrifft. (…) Ich habe überhaupt kein Interesse daran, die Bilder zu reproduzieren, die wir alle schon kennen.“ Ihr – und Lukas – kam es auf das Dazwischen an, nicht auf die Extreme, es ging ihr um männliche Jugendliche, die sich verloren haben. „Film ist das, was man nicht sieht“, sagt sie. „Ich liebe das Unausgesprochene“, und meint damit sowohl das Medium Film als auch die Literatur.
Und genau das ist es, was aus diesem Film ein großartiges Erstlingswerk macht: Constanze Klaue setzt den Schnitt genau da, wo das Klischee droht. Sie hat das Gespür dafür, das Billige, Abgedroschenen zu unterlassen. Aus dem Roman zieht sie dazu die ausgefeilten, authentischen Figuren, die eben nicht simpel böse sind. Sie lässt Lücken, der Zuschauer muss sich die Geschichte selbst erarbeiten. Nie wankt der Film auf dramaturgisch überhöhte Wende- und Scheitelpunkte zu, vorher nimmt er die Kurve oder lässt die Lücke. Das ist für einen Erstlingsfilm unglaublich reif und mutig – und es ist gelungen. Wer mehr darüber lernen will, wie die Menschen in der ostdeutschen Provinz sozialisiert wurden, kannn aus diesem Film einiges an Erkenntnissen gewinnen. Und dann gibt es da noch ein weiteres wichtiges Element: die Besetzung. Die beiden Jungs sind grandios glaubwürdig, spielen toll.
Der Film hatte seine Weltpremiere auf der Berlinale 2025 in der Reihe „Perspectives“, Kinostart ist der 3. April 2025.
Zum Roman von Lukas Rietzschel: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Mit_der_Faust_in_die_Welt_schlagen_(Roman)
Filmografie (Auswahl)
2018 Alfreds Kurgarten(Alfred’s Hotel); Co-Regie: Philipp Fussenegger
2020 Lychen 92; Kurzfilm
2025 Mit der Faust in die Welt schlagen (Punching the World)
von Constanze Klaue (Regie, Buch)
mit Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Johannes Scheidweiler
110′
Deutschland 2025
Farbe
Deutsch
Untertitel: Englisch