HEUTE IST DAS GESTERN VON MORGEN von Jonas Neumann beim Max-Ophüls-Preis 2025

Pius Neumaier Michael Kalb Filmproduktion, HEUTE IST DAS GESTERN VON MORGEN von Jonas Neumann

Regie: Jonas Neumann
| Deutschland 2024 | 82 Min. | Dt., Hebr., Ukr. mit dt. UT

Der Holocaust als Fliegenschiss der Geschichte. Hitler war eigentlich Kommunist. Zwei der jüngsten Relativierungen, Geschichtsklitterungen, Verfälschungen der Zeit des Nationalsozialismus. Absicht? Dummheit? Überzeugung? 80 Jahre ist das Ende des Zweiten Weltkriegs nun her, 80 Jahre seit der Befreiung der Konzentrationslager. Aber nicht nur das weltweite Erstarken der Rechten, der Autoritäten, der Identitären stellt eine Zeitenwende dar, es ist auch ein anderer Punkt: Bald wird es niemanden mehr geben, der aus eigenem Erleben noch von den Lagern erzählen kann, vom NS-Terror, von den Verhaftungen, Folterungen, Transporten, industriellen Morden. Wie kann man nun, wo es besonders wichtig ist, die Erinnerungen bewahren und aufrecht erhalten? Und welchen Beitrag können die Gedenkstätten leisten, die mit ihrer täglichen Arbeit gegen das Vergessen des Holocausts ankämpfen, die KZ-Gedenkstätten wie eben zum Beispiel jene in Dachau?

In seiner ersten Regiearbeit BLICKE IN DIE LEERE (2009) beschäftigte sich Jonas Neumann, nach seinem Zivildienst in der KZ-Gedenkstätte Dachau das erste mal filmisch mit dem Holocaust. Der Film stellte zwei Überlebende vor, Batsheva Dagan und Egon Marc Lövith. Auch Neumanns Urgroßvater war in Dachau interniert. „Mit Sorge betrachte ich heutzutage die Zunahme rechtsradikaler Attacken sowie die Entwicklung, dass provokante Aussagen von ungekannter Heftigkeit salonfähig werden. Auch in KZ-Gedenkstätten werden Angriffe häufiger. Heute ist es so drängend wie nie zuvor, die Ereignisse rund um die Gedenkstätten zu hören und zu sehen!“, sagt Neumann.

Neumanns neuer Dokumentarfilm erzählt von den Mitarbeitern in der Gedenkstätte Dachau in ihrem täglichen Ringen gegen das Vergessen und er stellt Abba Naor und Boris Zabarko vor, zwei der letzten noch heute lebenden Shoa-Überlebenden von Dachau. „Als Filmemacher, als ehemaliger fester Mitarbeiter des Gedenkortes und auch als Angehöriger einer Familie, die durch den NS-Terror getroffen worden ist, ist es mir ein tiefes Anliegen, dem Publikum die heutige Situation der Erinnerung an die Shoah in Deutschland sinnlich erfahrbar zu machen“, sagt Neumann.

Wir sehen die Gebäude auf dem Gelände des Konzentrationslagers, die Wohnhäuser direkt nebenan – man muss unwillkürlich an The Zone of Interest denken. Und wir hören die Geschichten des internationalen Mitarbeiterteams, der eigenen Beweggründe, in der Gedenkstätte zu arbeiten, ihre Begegnungen mit Besuchern, die Geschichten der Opfer, die sie erzählen. „Ab dem Moment, wo man merkt, man schläft schlecht, da sollte man seine Arbeit hier beenden“, sagt einer der Mitarbeiter. Wir begleiten die letzten Dachauer Überlebenden der Shoa bei Schulbesuchen, wie sie den Schülern von ihren Erlebnissen erzählen – und man erkennt nun, dass es so etwas bald nicht mehr geben wird. Das macht auch die Bedeutung dieses Dokumentarfilms aus, dass das noch einmal festgehalten und gezeigt wird.

Es sind aber auch die Blicke hinter die Kulissen, die diesen Film ausmachen, etwa den jungen Menschen bei ihrer Ausbildung, bald die Besucher durch das Gelände führen zu können. Was ist gut an dem, was sie erzählen, wie kann man besser auf die Besucher eingehen, was gibt es zu kritisieren.

Dann gibt es eine beinahe verstörende Szene, als das Personal eine Frau des Geländes verweist, die Hausverbot hat, weil sie sich in der Vergangenheit antisemitisch und rassistisch geäußert hatte. Auch das sind die Geschichten der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau, auch das sind die Blicke hinter die Kulissen.

Zunächst studierte der Dokumentarfilmer Jonas Neumann Theaterwissenschaft und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, 2010 wandte er sich dem Film zu und studierte Dokumentar-Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF). Seither drehte er etliche Kurzfilme und arbeitete als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HFF. An der KZ-Gedenkstätte Dachau ist er seit 2006 als freier Referent tätig. Neumann gelingt ein wichtiger, berührender Dokumentarfilm über einen Ort, über eine Gedenkstätte und über Menschen, bei ihrer täglichen Arbeit wider das Vergessen.

Filmografie

2009 ENCOUNTERING EMPTINESS (KF)

2011 LETTER TO ARTAUD (KF)

2013 CIRCUS TIGER (KF)

2018 NIGHT MELODY (KF)

2020 SPEX – A CARAVAN (KF)

2024 HEUTE IST DAS GESTERN VON MORGEN (Dok)

2025 STINGS OF A NEEDLE (KF)

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